Materialgerecht konstruiert!?!
Fünfte Jahrestagung der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte 2021, Zürich 10. und 11. Juni 2021

Susanne Brunner, Andreas Putz
Acrylglas im Bauen – materialgerechte Konstruktion oder konstruktionsgerechtes Material?

Abstract

Acrylglas wurde seit Mitte der 1930er Jahren produziert und ist damit ein recht junger und vielseitiger Werkstoff, der aufgrund seines Brechungsindexes und Oberfläche mineralischem Glas sehr nahekommt. Unterschiede in der stofflichen Zusammensetzung der Produkte aus Polymethylmethacrylat  (PMMA), diverse Additive (Flammschutzmittel, UV-Absorber, etc.) und Unterschiede in den formgebenden Herstellungstechniken (Formguss, Blasformen, Vakuum-Tiefziehen, Extrusion, Recken, etc.) ermöglichten die Festlegung anwendungsspezifischer Materialeigenschaften für vielseitige Verwendungen auch im Bauwesen. Brüstungen, Dachpaneele, Oberlichter, Lichtdecken, Fassadenverkleidungen usw. – Acrylglas war einer der prägendsten Baustoffe der Architektur der Mitte des letzten Jahrhunderts.
Konstruktionen mit Bauteilen aus Acrylglas bestehen meist aus einem tragenden Metallgerüst oder -rahmen, auf das das thermoplastische Bauteil aus PMMA mit elastomerem Puffer eingesetzt, verschraubt und anschließend abgedichtet ist. Diese Bauweise findet sich außerhalb der Architektur auch im Flugzeug-, Schiffs- und Fahrzeugbau.
Der bedeutendste Bau, bei dem Acrylglas gestaltbildend zur Anwendung kam, bildet die Dachlandschaft der Olympischen Spiele von 1972 in München. Als technische Innovation der Nachkriegszeit kamen biaxial gereckte PMMA-Platten aus Plexiglas® der Fa. Röhm zum Einsatz. Besonders die Brandschutzeigenschaften des gereckten PMMAs sprachen neben seinem geringen Gewicht und seiner Transluzenz für das Material.
Anhand dieses Beispiels lassen sich Fragen der materialgerechten Konstruktion und konstruktionsgerechten Materialwahl anschaulich diskutieren; zeigte doch die ursprüngliche Eindeckung bald nach Fertigstellung Probleme, die zum sukzessiven Austausch von Dachplatten und schließlich 1997 zur vollständigen Konstruktionserneuerung führten. Ein weiteres Vierteljahrhundert später wird es voraussichtlich erneut zur Neueindeckung kommen und heute wie damals wird alternatives Material diskutiert.
Im Rahmen des Vortrags sollen die historischen Hintergründe und materialspezifischen Besonderheiten des Bauens mit Acrylglas erläutert werden. Im Zentrum steht die Frage, ob materialgerechtes Konstruieren, ein Leitbild der modernen Architektur, nicht auch der Alterung des Materials gerecht werden kann. Doch wie kurzlebig ist Acrylglas wirklich?

Wann:
10.-11.06.21

Wo:
Online, Anmeldung unter www.bautechnikgeschichte.org