Materialgerecht konstruiert!?!
Fünfte Jahrestagung der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte 2021, Zürich 10. und 11. Juni 2021

Meltem Çavdar
Sichtbetonbau, eine holzgerechte Konstruktion

Abstract

Die oft beeindruckenden Sichtbetonbauten der Nachkriegszeit verdanken sich einem hohen handwerklichen Können. Wo Betonschalungen aus hölzernen Schalbrettern hergestellt wurden, mussten Sichtbetonbauten holzgerecht konzi-piert werden, um qualitativen Ansprüchen an die Oberflächen zu genügen. Die brettgeschalten Betonoberflächen sind das unmittelbare Abbild von Holzschalungen, deren Maß- und Verformungsgenauigkeit auf der Baustelle nach Fähigkeiten verlangte, die der Zimmererkunst entstammen.
Die zunehmende Verwendung von Bewehrungseisen im Betonbau stellte eine neue Herausforderung auch für den Schalungsbau dar. Denn um den Betonfluss zwischen den Bewehrungslagen zu verbessern, wurde die Wassermen-ge in der Betonmischung erhöht. Auch vergrößerten sich die Betonierabschnitte. Die Schalungen für Stahlbetonbau-teile wurden entsprechend dichter und stabiler, und dadurch baulich komplizierter. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es keine gesondert ausgebildeten Betonbauer, daher wurden erfahrene Zimmerleute beauftragt, für die der Schalungsbau eine wesentliche Bauaufgabe wurde. Zimmermannmeister Fritz Kreß widmete 1926 dem Schalungs-bau bereits ein ganzes Kapitel in der ersten Ausgabe seines Handbuches „Der Jungzimmerer“. Der erste Lehrgang für Betonbauer erschien 1930 in Form von Arbeitsblättern, die im Wesentlichen Vorlagen zum Schalungsbau enthiel-ten. 1938 veröffentlichte der Bauingenieur Carl Kupfer mit „Der Betonbauer“ das erste umfassende bautechnische Lehrbuch für den Betonbau. Inhaltlich fokussierten alle diese Lehrbücher stark auf den Schalungsbau in Holz und stützten sich dabei auf ältere Veröffentlichungen zum Zimmererhandwerk. Noch in der Nachkriegszeit waren Fragen des Holzschalungsbaus in den Fachpublikationen des Betonbaus wie des Zimmererhandwerks stark vertreten, bis vorgefertigte Schalungsplattensysteme bis Ende der 1970er Jahre Holzbrettschalungen allmählich verdrängten.
Der Beitrag widmet sich der Übertragung von traditionellem handwerklichem Wissen und Können des Zimmerer-handwerks auf den Holzschalungsbau. Aufbauend auf einer Analyse historischer Fachbücher zum Holzschalungs-bau sowie mittels Plandokumenten und Bauaufnahmen ausgewählter Sichtbetonbauwerke werden Charakteristika des Holzschalungsbaus zur Mitte des letzten Jahrhunderts vorgestellt. Die Materialgerechtigkeit von Sichtbetonbau-werken der Nachkriegszeit wird in Bezug auf ihre verloren gegangenen, aber im Abbild weiterhin sichtbaren Holz-schalungen diskutiert.

Wann:
10.-11.06.21

Wo:
Online, Anmeldung unter www.bautechnikgeschichte.org