Holzkirchen in den Karpaten

Bearbeiter: Dr. phil. Dipl.-Ing. Andrij Kutnyi

Im ukrainischen Karpatenraum gibt es derzeit noch etwa 800 Holzkirchen, von denen die ältesten bis in das späte Mittelalter zurückreichen. Sie sind hinsichtlich ihrer Formen und Konstruktionen sehr vielfältig und sowohl aus baugeschichtlicher, künstlerischer und denkmalpflege­rischer Sicht höchst wertvolle Objekte. Trotz der herausragenden Bedeutung ihrer Architektur und Baukonstruktion finden diese prachtvollen Holzbauten in der einschlägigen Literatur bisher keine Erwähnung und sind daher sogar in den Fachkreisen der Architekten und Kunsthistoriker kaum bekannt.

Die Holzkirchen prägten über Jahrhunderte die Landschaft der West-Ukraine. Erst in jüngerer Zeit (seit 1990) verschwinden diese Objekte nach und nach. Nicht selten werden sie als Folge mangelnder Sicherheitsvorkehrungen zerstört; manchmal sogar von den Dorfgemeinden einfach abgebaut und vernichtet. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden die alten Holzbauten immer häufiger durch steinerne Kirchen ersetzt. Nur in einzelnen Fällen wurden neue Sakralbauten noch aus Holz gebaut.

Im Laufe meiner Arbeit war generell das Fehlen von ausreichenden Dokumentationen sowohl der verlorenen und aber auch der bestehenden ukrainischen Holzkirchen festzustellen, so dass die Erstellung einer annähernd vollständigen Vergleichsstudie nicht möglich war. Aus diesem Grund sind sechs Holzkirchen gezielt ausgewählt worden, um sie detailliert zu untersuchen und monographisch darzustellen.
Zum ersten Mal wurden die Holzkirchen dieser Region mit modernsten Bauforschungsmethoden bearbeitet. Zudem wurde an diesen sechs Beispielbauten eine interdisziplinäre Herangehensweise angewandt, nicht zuletzt um auch das Interesse von weiteren Spezialisten aus anderen Fachbereichen zu wecken.

Als Grundlage der Arbeit diente eine genaue Vermessung und verformungsgetreue zeichnerische Aufnahme sowie eine umfangreiche Fotodokumentation dieser Objekte. Als Hilfsmittel zur Klärung der Bauphasen wurden verschieden naturwissenschaftliche Untersuchungen, wie z.B. stratigraphische Fassungsanalysen, durchgeführt. Um das Alter der betrachteten Bauten zu bestimmen, wurden dendrochronologische Untersuchungen vorgenommen. Für diese Arbeitsmethoden fehlten bisher jegliche Grundlagen, so dass trotz internationaler Kooperation, nur in Ausnahmefällen Ergebnisse erzielt werden konnten. Dennoch konnte damit ein wichtiger Grundstein für weitere Forschungen geschaffen werden.

Die Herangehensweise mit den Methoden der modernen Bauforschung hat viele neue Einblicke in die Baugeschichte der Holzbauten gebracht. Vor allem zur Konstruktion der Holzkirchen und Holztürme, zur Blockbau- und Ständerbauweise ließen sich während der Forschungsarbeit zahlreiche Erkenntnisse gewinnen. Eines der wesentlichen Ergebnisse betrifft die Gefüge­konstruktion der Blockbauteile.

Die verformungsgetreue Bauaufnahme der Kirche in Kolodne führte zusammen mit denrochronologischen Untersuchungen zu einer überraschenden Erkenntnis: dieser Bau wurde aus zwei Holzkirchen zusammengebaut und zwar wurde eine ältere Kirche (1636) transloziert und am neuen Standort auf die jüngere (1715) gesetzt. Sie ist somit eines der ältesten Beispiele für die Translozierung von Holzkirchen.

Die bauforscherischen und naturwissenschaftlichen Untersuchungen in Verbindung mit der Analyse der Konfessionsgeschichte haben eine Erklärung für Umbauten an der Kreuzerhöhungskirche in Drohobytsch geliefert. In dieser Kirche lässt sich anhand einer zusätzlichen zweiten Ikonostase — ein Ausnahmefall, der mit den damaligen Gesetzen in Verbindung gebracht werden kann — ein Anbau ins Jahr 1663 rekonstruieren. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen des Baumaterials haben zu einer interessanten Erkenntnis geführt, da deutlich bewiesen werden konnte, dass die Holzbalken der Kirche und des Turmes mit einer Salzlake durchgetränkt waren. Anhand dieses erstaunlichen Befundes kann zum ersten Mal wissenschaftlich ein bauzeitlicher Holzschutz an einem kompletten Bauwerk des Spätenmittelalters nachgewiesen werden.

Alle von mir untersuchten Holzkirchen sind charakteristische Beispiele für die Blockbaukunst. Sie sind jeweils im Ensemble mit ihren Glockentürmen Objekte von hervor­ragender Bauqualität und besitzen zum Teil einmalige Konstruktionen. Die vorliegende Arbeit zeigt diese Vielfalt der Konstruktionen ukrainischer Holzkirchen sowie die vielschichtige Geschichte dieser Bauten an einigen Beispielen. Sie soll einen Grundstock für die Integration der ukrainischen Holzkirchen in die Geschichte der europäischen Architektur bilden.

Publikationen

Neu Einsichten in die Forschung an der Holzkirchen, Budujemo Inaksche, Lviv, 2/2005