Räume unter Brücken empfinden die meisten Menschen als dunkle, oft unheimliche Orte. Während die Brücke als notwendiges Verbindungselement vorher voneinander getrennter Orte fungiert, haben die Flächen darunter meist keinen inhärenten Zweck. Vielmehr handelt es sich dabei um „unbestimmte Räume“ (2), um Resträume. An Bahngleisen, eingezwängt zwischen Häusern oder neben anonymen Großstrukturen liegend, sind sie oft versteckt, vergessen und sich selbst überlassen. Doch in stets wachsenden Metropolen, in denen die Suche nach unbebauten Räumen immer dringlicher wird, gewinnen gerade diese ungenutzten Orte zunehmend an Relevanz. Städte und Ortschaften sind heute strikt reglementiert. Jeder Quadratzentimeter ist durch den Bebauungsplan bestimmt. Stadtviertel sind in Zonen und Quartiere unterteilt, in beispielsweise Wohn-, Urban-, oder Gewerbegebiete. Nutzungen sind durch die Baunutzungsverordnung vorgeschrieben. Unbe- stimmte Räume, wie sie auch unter Brücken existieren, bilden hier die Ausnahme. Denn sie sind durch den Bebauungsplan meist nicht definiert. (3) Eigentumsver- hältnisse erscheinen dem Betrachter oft unklar.

Fest steht: diese ungenutzten Orte werden benötigt.

In einer Stadt wie München, in der der durchschnittliche Grundstückspreis pro Quadratmeter bei 2.000 € (4) liegt , sind Architekt*innen und Stadtplaner*innen stets auf der Suche nach unbeplanten Flächen. Dabei wird nicht nur Wohnraum benötigt. Kulturelle Angebote, Versorgungsstrukturen, Bildungseinrichtungen, sowie ein funktionierendes öffentliches Verkehrsnetzwerk sind gefragt. Doch durch den stetig steigenden Privat- und Geschäftsverkehr werden immer mehr Flächen für die Infrastruktur benötigt, und beansprucht zusätzlich die Raumreserven. (5)

Bisher wird der Raum unter Brücken oft vom ruhenden Verkehr eingenommen. Manchmal ähnelt er sogar mehr einem Autofriedhof abgestellter, verstaubter Karosse- rien. Doch diese Flächen könnten so viel mehr sein als Lagerorte für ausrangierte Fahrzeuge oder Parkflächen! Räume unter Brücken sind meist zentral gelegen, etwa an Verkehrsknoten, Ringstraßen oder Quartiergrenzen. Es ist wichtig, diese letzten unbebauten Flächen der Stadt ausfindig und ihre Potentiale sichtbar zu machen, damit sie bei zukünftigen Nachverdichtungsprojekten berücksichtigt werden können. Und dabei sind es gerade diese unbestimmten Orte, die in ihrer rauen Urbanität aus Stahl und grauem Beton unsere Fantasie anregen. An vielen Stellen erzeugen die auf massiven Stützen stehenden monumentalen Platten, durchzogen von den schmalen Lichtschlitzen zwischen den Auffahrten eine fast sakrale Stimmung. Bilder von vorbeifahrenden Autos vermengen sich mit dem Klingeln von Fahrrad- fahrer*innen und erzeugen filmähnliche Szenen die sichzwischen Betonhimmel und Asphaltboden abspielen. Um diese Qualität anzuerkennen, müssen wir uns aller- dings von dem düsteren Bild der Räume unter Brücken lösen, das sich über die letzten Jahrzehnte tief in unsere Köpfe eingebrannt hat.

(Text: Marcus Schlicht und Clara Frey)


2 Rummel (2017, S. 17) 3 Ebd.
3 Ebd.
4 ifunded (o.D.)
5 Rummel (2017, S. 19)