Ohne Rahmen. Das Layout von Kunstwerken im Italienischen Modernismus

Titel und Thema dieser Dissertation entstammen einem Artikel des italienischen Konservierungsexperten Cesare Brandi aus dem Jahr 1942, der die kuratorischen Kriterien für die Gemäldeausstellung im Istituto Centrale di Restauroerläuterte. Die restaurierten Meisterwerke wurden hier „ohne Rahmen“ und Schutzglas präsentiert, „um ihre Kanten freizulegen“, verdeutlichte Brandi. Die neue Aufmerksamkeit für die rahmenlosen Kanten ging Hand in Hand mit dem modernistischen Interesse an einer puristischen Präsentation der Kunstwerke. Zum Beispiel äußerte der Architekt Giuseppe Pagano auf den Seiten von Casabella das Bedürfnis, „die Kunstwerke in ihrer ursprünglichen Nacktheit zu präsentieren.“ Der Kunstkritiker Pietro Maria Bardi forderte die Architekten auf, auf die Bilderrahmen in den Innenräumen zu verzichten, da sie überflüssig seien. Bald wurde die Präsentation der rahmenlosen Gemälde zu einem mächtigen Instrument der Modernisierung der Museen, in denen Architekten und Museumsdirektoren die Bilderrahmen durch bewusst zeitgenössische Hängevorrichtungen ersetzten. Zeichnungen, Fresken und Leinwände wurden absichtlich in der Mitte der Galerien platziert, um eine natürliche Beleuchtung zu erwirken und den Besuchern ein Detailstudium aus der Nähe zu erlauben. Doch aufgrund von konservatorischen Problemen und widersprüchlichen kuratorischen Strategien kennzeichnete eine Rückkehr zu konventionelleren Displays die museologischen Interventionen der 1960er Jahre. Wie es bei temporären Ausstellungspraktiken manchmal der Fall ist, kamen die raffinierten rahmenlosen Bildträger aus der Mode. In permanenten Kollektionen wurden sie modifiziert oder sogar entfernt, wodurch die Bedeutung des Bilderrahmens als Zeugnis des kreativen Prozesses wieder in den Vordergrund rückte.

Diese bisher unbekannte Geschichte der „rahmenlosen Kanten“ erklärt die Kriterien, die von den Architekten der Moderne aufgestellte wurden, um Kunstwerke zu inszenieren. Durch ein detailliertes Studium archivarischer Quellen zeichnet das Projekt zunächst die Ablehnung des Bilderrahmens im Ornamentdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts nach; anschließend werden die modernistischen Ausstellungsmodi im Lichte des Diskurses über Konservierungspraktiken und Materialwissenschaft neu betrachtet.


Flavia Crisciotti Dipl.-Ing. Sapienza Università, Italien
seit 2017
Mentor: Prof. Mari Lending, OCCAS (the Oslo Centre for Critical Architectural Studies)
gefördert durch Promotionsstipendien des DAAD (2017-2018) und der Studienstiftung des deutschen Volkes (2019-2022)