Vergleichendes Entwerfen mit KI - Wohnen zwischen Stadt und Land
Projekt MA Entwerfen und Konstruieren Raum (wird noch bekannt gegeben)

Matsys Editorial – image by Andrew Kudless
Die Architekturgeschichte ist auch eine Geschichte technologischer Umbrüche. Von der Erfindung des Stahlbetons über die Einführung von CAD bis hin zu parametrischem Design und Building Information Modeling – jede dieser Innovationen hat nicht nur unsere Werkzeuge verändert, sondern grundlegend neu definiert, was es bedeutet, Architektur zu denken und zu produzieren. Heute stehen wir wohl an der Schwelle einer weiteren, möglicherweise noch tiefgreifenderen Transformation: Die generative Künstliche Intelligenz tritt in den Entwurfsraum ein und stellt etablierte Arbeitsweisen, kreative Prozesse und nicht zuletzt unser Selbstverständnis als Gestalter in Frage.
Mit der Verfügbarkeit großer Sprachmodelle (LLMs) und deren Integration in Anwendungen wie ChatGPT, Claude oder Gemini sowie der rasanten Entwicklung bildgenerierender Systeme (Large Vision Models) erleben wir einen Paradigmenwechsel von historischer Tragweite. Diese Systeme „verstehen"¹ – oder präziser: sie prozessieren und generieren – menschliche Sprache und bildliche Darstellung mit einer Präzision und Kontextsensitivität, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Für die Architektur bedeutet dies nichts Geringeres als die Möglichkeit, das sprachlich formulierte, absichtsvolle Denken direkt in räumliche Konfigurationen zu übersetzen, Konzepte iterativ zu entwickeln und visuelle Ideen in Sekundenschnelle zu materialisieren.
Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung ist hoch und ihre Durchdringung der digital-affinen Arbeitswelten vollzieht sich mit einer Dynamik, die selbst optimistische Prognosen übertrifft. In der Architektur, deren Planungs- und Entwurfsprozesse bereits heute weitgehend computergestützt ablaufen, fängt diese Revolution an sich in vielfältiger Weise zu manifestieren: Generative Design-Werkzeuge automatisieren die Erzeugung von Gebäudetypologien und Grundrissen, KI-gestützte Optimierungsalgorithmen evaluieren tausende Varianten nach multiplen Kriterien, und multimodale Modelle transformieren Skizzen in fotorealistische Renderings oder abstrakte Konzepte in konkrete Darstellungen.
Die Verantwortung für die architektonische Qualität, für die kulturelle Angemessenheit und soziale Relevanz eines Entwurfs verbleibt indes beim Menschen. Doch die Rolle könnte sich wandeln: Vom singulären Schöpfer zum kuratorischen Gestalter, der aus einem Ozean generierter Möglichkeiten jene Fragmente selektiert, synthetisiert und verfeinert, die seiner Haltung entsprechen. Es ist eine Verschiebung vom "Was" zum "Warum" – die Frage ist nicht mehr nur, welche Form entsteht, sondern weshalb gerade diese aus tausend möglichen gewählt wird.
In diesem Spannungsfeld zwischen technologischer Euphorie und kritischer Reflexion positioniert sich das ausprobierende, vergleichende Entwerfen mit KI als notwendige Auseinandersetzung mit den Werkzeugen unserer Zeit. Es geht darum, spielerisch zu erkunden, methodisch zu evaluieren und kritisch zu hinterfragen. Denn wer die Instrumente der Zukunft nicht zu beherrschen lernt, könnte von ihnen beherrscht werden.
Ein neues Entwurfsparadigma: Vergleichendes Entwerfen mit KI
Was diese Entwicklung von früheren technologischen Schüben unterscheidet, ist die fundamentale Verschiebung der Mensch-Maschine-Interaktion. Während CAD-Programme und BIM-Software trotz ihrer Komplexität letztlich deterministische Werkzeuge blieben – präzise, aber passiv –, treten generative KI-Systeme als aktivere Partner in den Entwurfsprozess ein. Sie generieren, variieren, kombinieren und überraschen. Sie eröffnen Möglichkeitsräume, die der menschliche Entwerfer allein nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Zeitaufwand explorieren könnte.
Diese Beschleunigung der Variantenerzeugung führt zu einem neuen Entwurfsparadigma: dem vergleichenden Entwerfen mit KI. Anstatt linear einen Entwurf zu entwickeln und sukzessive zu verfeinern, ermöglicht die KI-gestützte Generierung die parallele Entwicklung multipler Lösungsansätze. Der Architekt wird zum Kurator eines erweiterten Lösungsraums, zum kritischen Evaluator maschinell generierter Vorschläge, zum Dirigenten eines orchestrierten Zusammenspiels menschlicher Intuition und maschineller Kombinatorik.
Die Anwendung dieser neuen generativen Werkzeuge verspricht durch ihre beschleunigte Erzeugungsfähigkeit, dass Entwurfsvarianten zügiger und mit geringerem Aufwand hergestellt werden können. Dies eröffnet die Möglichkeit, mehrere Entwurfsoptionen parallel zu entwickeln und systematisch miteinander zu vergleichen. Bei zunehmender generativer Unterstützung in der Entwurfserzeugung, -variation, -inspiration und -analyse verbleibt die entscheidende Kompetenz der vergleichenden Bewertung und Auswahl bei den menschlichen Entwurfsverfassern.
Die Kernkompetenzen des Architekten – das Verständnis für räumliche Qualitäten, die Sensibilität für kontextuelle Einbettung, die Fähigkeit zur ganzheitlichen Bewertung komplexer Anforderungen – bleiben nicht nur relevant, sie werden sogar wichtiger. Denn je mehr Optionen generiert werden können, desto entscheidender wird die Fähigkeit zur kritischen Selektion, zur ästhetischen Beurteilung und zur ethischen Reflexion.
Early Adoption als akademischer Imperativ
In diesem Kontext des technologischen Wandels erscheint es nicht nur sinnvoll, sondern geradezu zwingend, sich experimentell, spielerisch und kritisch-reflektiert mit diesen neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Die akademische Lehre trägt hier eine besondere Verantwortung: Sie muss Räume schaffen für das Erproben neuer Workflows, für das Ausloten von Potenzialen und Grenzen, für die kritische Reflexion der Implikationen dieser Technologien für Profession und Disziplin.
Der vorliegende Entwurfskurs versteht sich als Labor für diese Exploration. Er lädt dazu ein, generative KI nicht als Bedrohung etablierter Praktiken zu verstehen, sondern als Erweiterung des architektonischen Instrumentariums – ein Instrumentarium, das es zu erlernen, zu hinterfragen und produktiv zu machen gilt. Denn eines ist gewiss: Der Computer als zentrales Arbeitsmittel der zeitgenössischen Architekturproduktion ist dabei, seine Fähigkeiten grundlegend zu erweitern. Ob wir diese Erweiterung aktiv miterleben, sogar mitgestalten oder ihr hinterherlaufen, liegt in unserer Hand.
Aber was bedeutet es für das Selbstverständnis der Architekturschaffenden, wenn die Maschine nicht mehr nur ausführt, sondern vorschlägt, variiert, inspiriert? Der traditionelle Entwurfsprozess – diese intime Zwiesprache zwischen Gedanke und Strich, zwischen Konzept und Form – könnte sich zu einem Trialog erweitern, in dem algorithmische Intelligenz als dritte Stimme erklingt. Dabei geht es nicht um die Substitution menschlicher Kreativität, sondern um ihre Augmentation: Die generative KI wird zum Katalysator für ein vergleichendes Entwerfen, das in seiner Variantenvielfalt und Iterationsgeschwindigkeit neue Dimensionen erschließt.
Diese Werkzeuge versprechen eine Demokratisierung des Entwerfens, indem sie komplexe Optimierungsverfahren, parametrische Studien und elaborierte Visualisierungen auch jenen zugänglich machen, die nicht über spezialisierte Programmierkenntnisse oder jahrelange Software Erfahrung verfügen. Gleichzeitig werfen sie fundamentale Fragen auf: Wem gehört die Autorschaft eines vielleicht auch nur teilweise KI-generierten Entwurfs? Wie verhält sich algorithmische Effizienz zu räumlicher Poesie? Kann eine Maschine den Genius Loci verstehen?
Architekten und Architektinnen, so das Selbstverständnis, verfügen über die Fähigkeit, über Sinnhaftigkeit, Angemessenheit, gestalterische Qualität und kulturelle Relevanz architektonischer Lösungen zu befinden. Die KI wird zum Werkzeug, das Optionen generiert – die kritische Entscheidung bleibt menschlich.
Denn die Fähigkeit, duzende Entwurfsvarianten in Kürze zu generieren, entbindet nicht von der Pflicht zur sorgfältigen Evaluation. Die Leichtigkeit der Bilderzeugung dispensiert nicht vom tiefgründigen räumlichen Denken, vom atmosphärischen Erfühlen. Und die Geschwindigkeit der Iteration ersetzt nicht die Geduld der Verfeinerung. Es gilt, die Balance zu finden zwischen dem Rausch des Möglichen und der Disziplin des Notwendigen, des Sinnvollen, des Angemessenen.
Einführung - Di 14. Oktober 2025 I 14:00 Uhr im Studio - wird noch bekannt gegeben
Aufgabe und Betreuung: Mauritz Lüps