Der Innenstadtcampus im Klimanotstand

Städtebauliches Entwerfen

Wintersemester 2021 / 2022

Prof. Benedikt Boucsein, Matthias Faul, Isabel Glogar

Die Uhr tickt: Zahlreiche Wissenschaftler*innen und insbesondere das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN zeigen die auf uns zukommenden Folgen und den Einfluss des Menschen auf die Klimakrise auf und haben im August 2021 erneut den Klimanotstands ausgerufen. In Zeiten, in denen wir diese Entwicklung national und international u.a. durch steigende Temperaturen und Hitzeinseln, aber auch Katastrophen wie Starkregenereignisse live verfolgen und dokumentieren können, werden Strategien für den nachhaltigen gemeinwohlorientierten urbanen Wandel von Stadträumen, Quartieren und Städten täglich dringlicher. Dies betrifft auch unsere Universitäten als Orte der Bildung und Forschung. Der Innenstadtcampus der TUM ist zudem Teil des Kunstareals und der Maxvorstadt und bestimmt die zukünftige Entwicklung dieses Stadtbereichs mit. Wie kann sich dieser nachhaltig und zukunftsorientiert klimaneutral weiterentwickeln?

Nur durch Kooperation von TUM-Akteur*innen, lokalen Akteur*innen und Bewohner*innen und der Stadtentwicklung München können gemeinsame Strategien für ein nachhaltiges urbanes Quartier und insbesondere zur CO2 Reduktion angegangen und umgesetzt werden. Hierfür möchten wir im Studio Handlungsfelder, Szenarien und urbane Interventionen für den Innenstadtcampus entwickeln. Ziel ist ein gemeinsamer Aktionsplan für die nächsten 10 Jahre, der auch als realistischer Vorschlag den relevanten Akteur*innen vorgelegt werden soll. Dies findet im Studioformat “Final Countdown” statt, das einen Stadtbaustein unter der Perspektive einer notwendigen radikalen Veränderung im Kontext des Klimanotstands und Klimawandels innerhalb von 10 Jahren weiterentwickelt.

Der Zeitpunkt dazu scheint günstig: Mit dem Antritt des neuen Präsidenten Thomas Hofmann hat sich die TUM dem Thema der Nachhaltigkeit verstärkt verschrieben, was sich momentan unter anderem mit der Einrichtung einer Stabsstelle und der Erarbeitung eines Nachhaltigkeitskonzepts äußert. In vielen Fakultäten und Professuren ist das Thema ohnehin schon lange ganz oben auf der Prioritätenliste, so dass der zentrale Impuls auf viel Wohlwollen und Interesse gestoßen ist. Derweil ist der Innenstadtcampus, die Adresse der TUM zur Stadt München, von Nachhaltigkeit weit entfernt: Vom Autoverkehr umspült, ohne Solarzellen oder grüne Fassaden, mit unzureichender Infrastruktur für Fahrräder, einem kargen Innenhof mit geringer Aufenthaltsqualität und ohne Beschattung, mit einem Betrieb, der nach wie vor viel Abfall produziert und Energie unnötig verschwendet. Zugleich entstehen bereits einzelne bottom-up-Initiativen wie die zum Urban Farming im Stammgelände.

Zukünftig werden Fragen und Strategien für den Innenstadtcampus dringlich, insbesondere der Klimaanpassung, nachhaltiger Energiestrategien, alternativer Mobilität, Bestandsweiterentwicklung, Ressourcenschonung aber auch soziale und gesellschaftliche Fragen wie die gemeinschaftliche Nutzung der Freiräume und Universitätsräume, Kommunikation mit den Außenräumen und der Stadt München – und allgemein des Wandels zu einem Vorzeigeprojekt eines klimaneutralen Campus als Botschafter der Klimaresilienz. Dies zu erreichen bedingt einen Austausch mit Akteur*innen der Stadtentwicklung Münchens, aber auch Wissenschaftler*innen und Expert*innen anderer Fakultäten des TUM Campus. Wie kann der Innenstadtcampus bis 2030 eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen und sich so auch international positionieren?

Die Uhr tickt und daher werden im Studio Fragen auf verschiedenen Maßstabsebenen und Zeitsträngen bearbeitet. Wir bearbeiten sowohl kurzfristig umzusetzende kleinteilige Maßnahmen, aber auch Maßnahmen, die uns die nächsten Jahre begleiten können und in einem Prozess des Wandels Zielvorgaben und urbane Strategien als Weichen stellen sollen. Eine wichtige Rolle dabei, wie in solchen komplexen Strukturen Veränderungen herbeigeführt werden, können positive und stark mit den jeweiligen Akteur*innen verankerte Visionen spielen. Eine solche Vision steht daher im Zentrum der Diskussionen.

Im Projekt geht es daher um mehr als die Vision einer - oft eher abstrakten bzw. rechnerischen -Klimaneutralität. Der Innenstadtcampus soll das, was an der TUM gelehrt und erforscht wird, als Lern- und Arbeitsumgebung symbolisieren und fördern. Wie könnte sich der Klimanotstand räumlich und gestalterisch ausdrücken, zum bestimmenden Thema werden? Wenn die kommende Zeit eine der Katastrophen und Umwälzungen sein wird, wie schlägt sich das in einer der zentralen Institutionen unserer Gesellschaft und ihrer städtebaulichen Umgebung räumlich und gestalterisch nieder? Welche neuen Raumprogramme müssen erfunden werden, wie bestehende modifiziert und adaptiert? Und wenn jeder Bauabschnitt des Stammgeländes für bestimmte Epochen bzw. Personen steht, für was steht dann die Entwicklung der nächsten zehn Jahre und wie drückt sich dies räumlich und im Stadtraum aus?

Im Studio werden zum einen 2er-Teams an einzelnen räumlichen Einheiten und Architekturen und deren Transformation arbeiten, meist an Gebäudeabschnitten wie dem “Thierschbau”, aber auch zu städtebaulichen Fragen der umgebenden Straßen- und Außenräume oder den Freiräumen wie dem Hof. Zum anderen arbeiten die Teams gemeinsam in größeren Verbünden als AG’s an übergeordneten Themen der Stadtentwicklung wie Energie, Grünraum oder Mobilität. Das Studio ist interaktiv angelegt; dies betrifft die Arbeit in den Gruppen, aber auch die Kommunikation mit den verschiedenen Stakeholdern des Campus und Akteur*innen der Stadtentwicklung und Bewohner*innen der Maxvorstadt. Wir arbeiten ressourcenschonend mit Recyclingmaterialien.

Auf das Studio wird im Sommersemester ein interdisziplinäres Seminar folgen, als dessen Folge die erarbeiteten Ergebnisse im Stadtraum der Arcisstraße ausgestellt werden und durch öffentliche Diskussionsworkshops ergänzt werden. Durch eine temporäre Straßensperrung der Arcisstraße (Sustainable Day, Mai 2022) wird gezeigt, wie der Campus der TUM durch an Qualität für Studierende und Mitarbeiter*innen sowie für Bewohner*innen der Umgebung gewinnen und die räumliche Beziehung zu den Pinakotheken gestärkt werden könnte. Bei der Intervention sollen auch weitere Initiativen und Ideen zum nachhaltigen TUM-Campus gezeigt und diskutiert werden. Zudem sollen in diesem Rahmen, aber auch schon vorher die Ergebnisse der Hochschulleitung und anderen wichtigen Akteur*innen vorgestellt werden, um den Innenstadtcampus, der der gegenwärtigen Notlage tastsächlich entspricht, Realität werden zu lassen.