Über Naturgärten. Ideengeschichte und kritische Retroperspektive sowie Bedeutung für die heutige Landschaftsarchitektur.

Anja Löbbecke

Abstract: Einen Gestaltungsansatz namens „Naturgarten“ gibt es bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts, als der Begriff synonym für den englischen Landschaftsgarten benutzt wurde. Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Wissenschaft der ökologie etabliert, wird auch die Naturgartenidee davon geprägt: Zum Beispiel entwickelt Reinhold Tüxen Parks nach pflanzensoziologischen Gesellschaften, Jac. P. Thijsse und Eli Heimanns entwerfen in den Niederlanden „instructive Natuurtuinen“ mit Miniatur-Landschaftsausschnitten und Willy Lange befürwortet einen „naturlichen Garten“, in welchem Pflanzen nach biologisch-physiognomischen Auswahlkriterien heimische Natur inszenieren. Der Begriff „Naturgarten“ wird jedoch erst in den 1970er und 80er-Jahren populär, als sich im Zuge des erwachenden ökologischen Bewusstseins der Künstler Louis G. Le Roy und der Biologe Urs Schwarz mit Natur im Garten auseinandersetzen. Obwohl der eine die Dynamik der Natur künstlerisch thematisiert, der andere hingegen Landschaftsschutz-Prinzipien auf den Privatgarten überträgt, werden beide als „die“ Naturgärtner bekannt. Diese frühen Ansätze rücken zunächst aus dem Fokus, obwohl sie eine Fortsetzung finden: Nach Vorbild der „Wildnisgartenkunst“ von Karl Foerster entwickelt der Weihenstephaner Professor Richard Hansen die Staudenverwendung mit seinen „Lebensgemeinschaften“ weiter, die heute noch Verwendung findet.
Das kulturelle Konstrukt von „Natur“ prägt das, was unter „dem“ Naturgarten in den letzten 200 Jahren verstanden wird. Deshalb wird eine schlichte Typisierung der Naturgartengeschichte nicht gerecht. Bei der Dissertation handelt es sich um eine Ideengeschichte, welche die Ansätze von Naturgartengestaltern auf ihr Naturverhältnis und -verständnis hin überprüft. Je nach gesellschaftlichen Konventionen wechseln diese Ideale: Während Willy Lange den Naturgarten als komplementäres Gegenstück zum „Kulturgarten“ entwickelt und damit auf die Unvereinbarkeit von Natur und Kunst verweist, ist der Ansatz der Perennial Preview Bewegung, die in den 90er-Jahren auf Hansens Ideenlinie aufbaut, auf ein Weltbild zurückzuführen, das die Unterschiedlichkeit von Natur und Mensch als zwei Seiten einer Medaille begreift und im Garten mit deren ästhetischem Kontrast spielt. Die seit den 60er-Jahren wachsende Naturgarten-Amateurkultur versteht die ökologie hingegen als Weltbild, nicht als Wissenschaft, und folgt der Wildgartenidee von Schwarz: Die Kultur nimmt eine Helferrolle gegenüber der Natur ein, traditionelle Gartengestaltung wird sekundär.
Die Ideengeschichte des Naturgartens zeigt, dass die Motivation, sich im Garten der Natur gegenüber zu positionieren, eine zentrale Triebfeder der gartengeschichtlichen Entwicklung ist, sowohl in der professionellen als auch der amateurhaften Gartenkultur.